Jedesmal, wenn ich eines meiner drei alt gedienten Langarmshirts aus dem Schrank hole, frage ich mich, ob dies wohl der richtige Zeitpunkt ist, es seinem Erhaltungszustand entsprechend der Putzlappenkiste zuzuführen.
Aber was ziehe ich dann an?
Unter meine geliebten Wollpullis, unter meine geliebten Tuniken....
Das wäre vielleicht kein Problem, wenn ich gerne shoppen würde, wenn ich nicht so sensibel auf Kunstfasern reagieren würde, wenn es einfach wäre, Sachen zu finden, die mir passen und gemütlich sind und die mir stehen...
Aber leider bin ich manchmal ein bisschen kompliziert....
Jedesmal, wenn ich meinen Stoffeschrank öffne, fällt mir ein, dass da mal einige Stoffe grundlegend raus und nicht wieder rein sollten.
Schon im Frühjahr hatte ich alle Jerseys ausquartiert und zum Teil zu Kleidchen für meine Nichten und Pyjamahosen für meinen Liebsten vernäht, aber der Stapel ist immernoch groß.
Und es gibt eigentlich keinen Grund, die Stoffe länger aufzubewahren.
Da sie aus den Kleinkindertagen meiner Rabauken stammen, sind es nicht unbedingt die Designs, die ich mir heute kaufen würde.
Aber da ist ja noch die Sache mit dem Schnitt – und insofern ist es vielleicht ganz gut, alte Stoffe zum Üben zu haben.
Die Sache mit dem Schnitt
Erfahrungsgemäß passen mir Sachen, die ich nach gekauften Schnittmustern nähe, nicht wirklich. Deshalb sind meine selbstgenähten Lieblingsstücke meist eher sackartiger Natur, da kann ich mir leicht den Schnitt selbt zusammenwurschteln. Meist nehme ich als Grundlage Schnitte von Teilen ab, die ich schon habe, aber ich habe auf diesem Feld noch viel Entwicklungspotential.
Von meinem Lieblingsshirt (dem, das ich auch heute trage) habe ich ca. in 2010 schon mal den Shnitt abgenommen und ein Shirt nachgenäht. Aus einem tollen Stoff, den ich immer noch mag. Trotzdem trage ich es nicht gerne. Die Ärmel sind zu eng, der Bauch zu weit und der Ausschnitt zu groß.
Ein Shirt muss halt doch besser sitzen als ein Kittel und das mit den Ärmeln scheint mir eine hohe Kunst zu sein.
Was tun?
Also irgendeine "professionelle" Ausgangslage wäre schon nicht schlecht.
Plan A:
Doch nochmal alle meine Nähzeitschriften wälzen.
Das sind ungefähr sieben. Drei aus dem letzten Jahrtausend und drei von 2016. Und dann noch eine von irgendwann.
Dabei mache ich die interessante Feststellung, dass es in Nähzeitschriften entweder gar keine normalen Shirts gibt, oder nur welche, die für Leute konzipiert sind, die dünner sind als ich.
Der Gang in den Zeitschriftenladen führt dazu, dass ich mir zwei weitere Nähzeitschriften kaufe und zwar extra die mit dem Zusatz "Plus" im Titel, aber ein schlichtes Shirt mit einem normalen Ausschnitt ist da auch nicht drin.
Plan B:
Schnittmuster im Netz durchstöbern.
Aber auch da finde ich nichts Überzeugendes.
(Könnte es sein, dass ich manchmal etwas kompliziert bin?)
Ein Aspekt ist der, dass bei vielen Schnittmustern das Referenzmaß für die größte auf dem Bogen befindliche Größe unter meinem Maß liegt. (Heißt: Ich bin zu dick für den Schnitt. Aber: Ich will keine Wurst!)
Bei den anderen Schnitten bin ich für das Referenzmaß der kleinsten Größe auf dem Bogen zu dünn.
Wenn das jetzt grad so nicht hinhaut, kann ich nicht einfach den Schnitt in kleiner oder größer nehmen. Dann geht die Sucherei wieder los.
Schlussendlich tauche ich nochmal in die Tiefen meiner Nähvergangenheit und befördere ein Schnittmuster für ein Twinset zutage, von dem ich schon vor vielen Jahren einmal die Jacke genäht habe.
Sie passte nicht, saß nicht, gefiel nicht, lag dann mehrere Jahre ohne Verschluss im überfüllten Stoffeschrank um dann irgendwann in der Stoffverwertungskiste für's Flüchtlingsbasteln zu enden.
Fraglich, ob der Shirtschnitt passt, aber immerhin ist theoretisch eine zu meinen Maßen passende Größe vertreten.
Also Mut gefasst, mitgedacht und losgelegt.
Schnittanpassung 1:
Ich breite den Schnitt aus und messe die Oberweite darin aus.
Dann denke ich über die Bequemlichkeitszugabe im Allgemeinen und im Besonderen nach, komme jedoch zu keinem befriedigenden Ergebnis.
Laut Maßtabelle brauche ich 48. Alle bisher nach Schnittangaben in der richtigen Größe genähten Sachen waren mir zu groß.
Ich ziehe mein Lieblingsshirt aus, falte es in der Mitte und lege es auf den Schnitt.
Das passt genau auf Größe 42.
Aber ich kann enge Ärmel nicht ausstehen und wer weiß, wie der Schnitt konzipiert ist?
Schließlich hole ich Luft und nähe ein Shirt in 46, genau so, wie es da auf dem Bogen ist.
Schirt 1
Das Shirt ist tragbar und wenn es ein Kaufshirt wäre, wäre ich glücklich damit und ginge davon aus, dass ich wohl nichts Besseres finden werde.
Ober optimal ist es nicht. Irgendwie kommen mir die Schultern etwas weit außen vor, unter den Armen scheint es zu weit, der Ärmelansatz ist nicht optimal und die Ärmel ziehen irgendwie.
Noch ist reichlich Stoff vorhanden. Also geht noch ein Versuch.
Aber was muss ich wie ändern?
Wenn ich den Schnitt anschaue, scheint mir die Armkugel sehr stark ausgeprägt. Bei Strickpullis mag ich lieber flachere Armkugeln, vielleicht wäre das auch hier nützlich?
Aber wie mache ich das? Schließlich müssen die Ärmel ja genau in die Ausschnitte passen.
Schnittanpassung 2
Nach reichlich verzwickten Überlegungen komme ich zu folgender Lösung für diese Knobelaufgabe:
Ich zeichne den Ärmel auf Zeitung, schneide die Armkugel an der breitesten Stelle ab, zerschneide sie im rechten Winkel zu dieser Linie in der Mitte, ziehe die beiden Hälften etwas auseinander, aber so, dass sie an der Schulter noch zusammenstoßen, passe den unteren Verlauf des Ärmels wieder an und zeichne den Schnitt neu.
Dadurch ist die Armkugel flacher und der Oberarm weiter geworden, aber die Kurven und die Länge der Kante sind gleich geblieben.
Außerdem schiebe ich die mittlere Schnittkante von Vorder- und Rückenteil beim Zuschneiden 2-3 mm über den Stoffbruch hinaus, so dass das Shirt etwas schmaler wird.
Shirt 2
Viel besser! Das ist eine gute Grundlage für weitere Shirts.
Jetzt bin ich schon so in Fahrt, dass ich gerne wissen möchte, was passiert, wenn ich die Armkugel in der gleichen Weise noch flacher mache. Der Stoff für dieses Shirt ist kein Jersey, sondern ein leichter Swaet.
Schnittanpassung 3, diesmal mit Fotos
Shirt 3
Auch hier liegt der Schnitt beim Zuschneiden etwas über den Stoffbruch hinaus.
Das Schließen der Nähte geht wie immer ratzfatz, aber die Säume lassen mich schimpfen.
Eigentlich habe ich den Stoff im Sträflingsdesign nur gewählt, weil er eh übrig ist und sich daher zum Üben eignet. Ich hatte nicht erwartet, das Shirt zu mögen. Aber es ist auf Anhieb so bequem und angenehm zu tragen, dass ich es gar nicht mehr ausziehen mag.
Die drei Ärmelschnitte: Breite an der breitesten Stelle: 39cm, 41,3cm, 42,5cm
Memo alle:
Overlock (Lidl-Garn in blau) + Janome (mit Obertransportfuß oder Fuß F))
Shirt 1: (tragbar)
Jersey 100%BW
Schnitt: Neue Mode Stil M 22685, 46, Originalärmel,
Ausschnitt: Wie Bündchen, aber sehr schmaler Stoff, mit "Elastiknaht" abgesteppt
Säume: Mit Stich 2/20 (marine, suboptimal, am unteren Saum 4 Fadenrisse - grrr!)
Shirt 2: (sitzt gut)
Jersey 100%BW
Schnitt: Neue Mode Stil M 22685, 46, modifizierter Ärmel, lila-braunes Schnittmuster,
am Bruch ca. 2mm Papierüberstand
Ausschnitt: In Schrägstreifenmanier
Säume: Mit Stich 2/20 (weiß, mit Saumfix festgebügelt, suboptimal)
Shirt 3: (sehr bequem)
Feinsweat 100%BW
Schnitt: Neue Mode Stil M 22685, 46, anderer modifizierter Ärmel, gelbes Schnittmuster,
am Bruch ca. 3mm Papierüberstand
Ausschnitt: Wie Bündchen
Säume:
Eigentlich wollte ich hier mal meine neue Strech-Zwillingsnadel ausprobieren, aber die Nähmaschine ließ sich auch nach intensiven und langwierigen Bemühungen nicht davon überzeugen, damit eine vernünftige Naht zu produzieren.
Zu den Mucken der Nähmaschine kam, dass der Stoff extrem rollt und obendrein franst.
Also habe ich ihn erst mit der Overlock versäubert (3 Fäden) und dann die Kante zweimal eingeschlagen. Dann mit Stich 2/20 genäht. Die Naht ist zum Gruseln, aber für ein Unterziehshirt mag es gehen.
Vorläufiges Ende dieser Geschichte:
So, jetzt habe ich drei neue Shirts, die mir bei den gegenwärtigen Minusgraden als Unterschicht unterm Wollpulli sehr gelegen kommen.
Und ich habe ein Schnittmuster, mit dem ich noch den ein oder anderen nutzlosen Stoff aus dem Stoffeschrank entfernen und ihm eine neue hübsche Stellung verschaffen kann.
Außerdem habe ich eine Menge gelernt. Und verstanden.
Ich denke, das wird mir auch bei zukünftigen Nähprojekten sehr nützlich sein.
Die Janome hat mich beim Nähen der drei Shirts allerdings nicht überzeugt.
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