Nadelbinden – diese uralte Handarbeitstechnik, die als Vorläufer des Strickens betrachtet wird und durch zum Teil Jahrtausende alte archäologische Funde belegt ist – wollte ich schon lange mal ausprobieren.
Vor vielen Jahren erstand ich auf einem Markt die passende Nadel aus Knochen, die bei meinem Nähmschinenzubehör wohnt und die ich immer wieder gerne in die Hand nehme, weil sie sich so schön anfühlt.
Jetzt wollte ich es endlich lernen.
Zumal ich eine neue Mütze durchaus brauchen könnte und von dieser weinroten roten Dochtwolle noch ein Rest vorhanden ist, der dafür genau richtig wäre.
Dochtwolle (also einfach gedrehte Wolle, die nicht wie "normales" Garn aus zwei oder mehr gedrehten Fäden zusammengezwirnt ist) wird für das Nadelbinden empfohlen, da bei einem Einfachgarn das Anstückeln des Fadens besonders gut gehen soll. Das hatte ich im Hinterkopf.
Also frisch ans Werk! In allerlei Handarbeiten geübt, sollte das für mich doch locker machbar sein.
Im Netz finden sich einige Anleitungen, teils beschriebene und bebilderte, teils gefilmte.
Mit meiner roten Wolle und der schönen Nadel setze ich mich an den Rechner, gucke und probiere ...
Es ist zu lesen, dass es für das Nadelbinden zwei Methoden gebe:
die Daumenfangmethode (manchmal auch Daumenfesselungsmethode) und
die Freihandmethode
Alle Anleitungen, die ich finden konnte, beschreiben die Daumenfangethode.
Erster Versuch: rote Dochtwolle, Daumenfangmethode, Oslostich als allseits gepriesener Anfängerstich.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Das wurde gar nichts.
1. Das Hauptproblem liegt darin, dass die neue Schlinge, die gemäß aller Anleitungen aus dem Arbeitsfaden über den Daumen gelegt wird, bei mir einfach nicht über dem Damen bleibt, es sei denn, ich lege sie – während ich den Faden für einen einzelnen Stich an der vorgesehenen Stelle durch die Arbeit ziehe – ungefähr ein Duzend Mal wieder neu über den Daumen. Oder ich klemme ihn irgendwie mit dem kleinen und dem Ringfinger fest, ein etwas krampfhaftes Unterfangen, mit dem das völlig wild herumwuselnde Gebaren des Arbeitsfadens etwas kontrolliert wird, bei dem er aber auch nicht über dem Daumen bleibt.
Aber gut. Vermutlich wird es besser, wenn man den Bogen mal raushat: also weiter üben und für's erste die Daumenschlinge eben mit aufwändiger Nachhilfe an Ort und Stelle bringen, damit ich überhaupt mal sehe, was das wird.
2. Dabei zeigt sich gleich das nächste Problem: Mein Daumen definiert eine Schlingengröße von gut 2 cm Durchmesser. Arbeite ich genau nach Anleitung, entsteht ein "Gewebe" aus ca. 2 cm großen Schlaufen, die in ziemlich losem Durcheinander wirr herumhängen. Ich vermute, dass man mit ein bisschen Übung sofort sieht, was was ist, aber im Moment erkenne ich nur Gewurschtel. Deshalb muss ich das, was ich da gerade gebildet habe, zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger gut festhalten und darf es keinesfalls loslassen, sonst finde ich die für den nächsten Stich nötigen Schlingen nie wieder. Daher ist es mir nicht möglich, den Stich so festzuziehen, dass ein einigermaßen dichtes Gewebe daraus wird.
An dieser Stelle dämmert mir eine Erkenntnis: Meine Wolle ist zu dünn.
Also krame ich die allseits empfohlene dicke Filzwolle heraus, die aber kein Rest und mir daher zum Übern eigentlich etwas zu schade ist. Aber gut. Wenns hilft, um das zu lernen, dann sei es so.
3. Postwendend taucht die nächste Schwierigkeit auf: Die Filzwolle passt zwar besser zu meinem Daumendurchmesser, aber da das Garn kaum Drehung hat und die einzelnen Fasern mehr oder weniger lose nebeneinander liegen, finde ich es schwierig, durch die Schlingen zu stechen, ohne dabei das Garn zu zerteilen. Hierbei und beim beim Durchziehen des Arbeitsfadens zeigt das Garn außerdem umgehend Auflösungstendenzen. Da ja für jeden Stich der ganze Arbeitsfaden bis zur Nadel durch die Schlingen muss, wird das Garn ziemlich strapaziert. Das hält es kaum aus.
In diesem Stadium meiner Versuche kann ich zwar erkennen, wie die Stiche mal aussehen sollen und wie die Stichbildung funktioniert. Insofern komme ich einen kleinen Schritt weiter. Aber ich stelle fest, das ich mit Filzwolle für Nadelbinden nicht glücklich werde. Außerdem bleibt das Problem, dass ich trotz gezielter Analyse mehrerer Videos nicht herausfinde, wie ich die Hände und Finger bewegen muss, damit sich der Arbeitsfaden brav als Schlinge über den Daumen legt und dann auch freiwillig da bleibt.
Aber ich suche und finde in meinen Wollvorräten einigermaßen dicke gezwirnte Wollreste in grau und weiß, mit denen ich einen nächsten Versuch starte.
4. Die Stichbildung mit den beiden Schlingen vor und über dem Daumen habe ich inzwischen schon verinnerlicht. Aber auch dieses dicke Garn erweist sich schnell als zu dünn und ich finde immer noch nicht heraus, wie ich die Stiche vernünftig festziehen kann, ohne dass ein großes Durcheinander entsteht. In einem Video sehe ich, dass man die Kette ganz am Schluss in Form ziehen kann, aber das funktioniert in Kombination mit einem Schlingendurchmesser von gut 2cm nur bei 1 cm dicker Wolle.
Nach wie vor lässt sich die jeweils neue Daumenschlinge nur unter größten Mühen an der richtigen Stelle bilden.
5. An dieser Stelle frage ich mich, ob ich vielleicht mit der Freihandmethode besser zurecht komme. Ich suche im Netz, wie man in diesem Fall vorgeht und finde dazu: Nichts.
6. Schon lange kenne ich diesen wunderschönen Nadelbindeblog (der mich schon vor Jahren angefixt hat.) Also studiere ich die Abbildung zum Oslostich genau, (finde leider keine Hinweise auf den Anfang einer Arbeit), beginne den ersten Stich mit der Daumenschlaufe und versuche dann, den Fadenweg in der gezeigten Weise durch das "Gewebe" zu finden. Das geht eigentlich recht gut. Dar Faden geht in einer bestimmten Reihenfolge über und unter den Fäden der vorherigen zwei Schlingen hindurch. (Insofern finde ich den Begriff "Gewebe" durchaus passend für das, was da entstehen soll. Ob es einen besseren Fachbegriff dafür gibt, weiß ich nicht.)
Mangels Informationen erfinde ich den Oslostich also quasi neu, indem ich einen Bewegungsablauf entwickle, in dessen Verlauf dann auch mal eine kleine Schlinge unter dem Mittelfinger liegt. So kann ich auch die Gewebedichte ganz gut kontrollieren. Das lässt sich also erst mal ganz gut an.
Aber man möchte ja nicht nur lange Ketten nadeln, sondern eigentlich eine Fläche.
Typisch für Nadelbinden ist das Arbeiten in Runden.
7. Also versuche ich, meine graue Kette zur Runde zu schließen.
Inzwischen ist Mitternacht durch. Zum Nadeln einer zweiten Reihe im Freihandmous finde ich erst recht keine Informationen. Also versuche ich es irgendwie nach Gutdünken, aber es will nicht vernünftig glücken.
Ich müsste in einem Foto von einem Objekt im Oslostich die Fadenwege analysieren, um herauszufinden, wie es aussähe, wenn man den Stich in der zweiten Reihe auf die gleiche Weise grafisch darstellen würde, wie es für den Oslostich in der Kette gegeben ist.
Darauf aufbauend könnte ich dann überlegen, wie man die Verbindung in Freihand arbeiten müsste.
8. Vielleicht ist es leichter, den Anschluss an eine Rosette zu finden, weil dies möglicherweise etwas übersichtlicher ist, als die zur Runde geschlossene Kette. Also starte einen letzten Versuch, nadle eine weiße Kette in Freihand, ziehe sie zur Rosette zusammen, wie hier gezeigt, und versuche, darauf eine nächste Reihe aufzubauen. Was mir aber auch nicht gelingen will.
9. Um wenigstens ein bisschen ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich Nadelbinden anfühlen könnte, umsteche ich die Rosette mit ein paar Reihen Langettenstich in weiß und grau und gehe ins Bett.
10. Offensichtlich werden das Nadelbinden und ich keine Freunde.
Am nächsten Tag beginne ich eine Häkelmütze.
11. Ein bisschen schade ist es schon.
Vielleicht wünsche ich mir zum Geburtstag das Buch von Ulrike Claßen-Büttner, aber ich habe schon gelesen, dass das auch die Daumenschlingenmethode lehrt. Ich vermute, dass ich den historischen Teil lieben werde und am praktischen scheitern.
Naja, mal sehen. Ich habe schon sehr viel autodidaktisch gelernt, aber beim Nadelbinden will es mir offenbar nicht glücken.
Vielleicht finde ich ja auch mal jemanden, der mir das in echt zeigen kann.
Memo / Linkliste (Auswahl):
Theoretisch fand ich diese Anleitungsvideos für die ersten Schritte ganz nett, auch wenn ich es praktisch nicht damit gelernt habe:
lady wolldemort (viele Tutorials)
Seiten/ Blogs:
Die Fotos zeigen übrigens das Ergebnis von ca. drei Stunden harter Arbeit.
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